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Ortsgruppe Flensburg, Flensburg, Klimaschutz, Mobilität auf dem Land, Mobilität in der Stadt, Stadt- & Regionalplanung, Verkehrspolitik
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Reaktivierung Bahnstrecke Niebüll-Flensburg: Fragen und Antworten

Rechnet sich die Reaktivierung der Bahnstrecke Niebüll-Flensburg? Welche Auswirkungen hätte das für Umwelt und Klima? Nach dem von VCD und PRO BAHN veranstalteten Experten-Podium zur Bahnreaktivierung (26.10.2020) wird das Vorhaben öffentlich diskutiert. Darüber freuen wir uns als ökologischer Verkehrsclub und nehmen Partei: Für das Klima und den Umweltverbund, also Bus-, Bahn-, Rad- und Fußverkehr. Angesichts der entstandenen Fragen sind hier hilfreiche Informationen zusammengestellt.

 

Unsere Position als VCD Nord: Partei fürs Klima

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Bis 2020 sollten in Flensburg 30 Prozent weniger Treibhausgase anfallen als 1990, so der Ratsbeschluss. Laut aktuellem Klimaschutzbericht der Stadt gab es jedoch im Verkehr bisher keinerlei(!) Rückgang. Das gilt auch für den Verkehrsbereich in  Schleswig-Holstein. Umso notwendiger und dringender ist es aus unserer Sicht, kraftvolle Schritte zum Klimaschutz zu unternehmen. 

Eine Wende zu klimafreundlichen Verkehrsmitteln kann nur gelingen, wenn es zeitnah nachhaltige und attraktive Alternativen gibt. Dafür muss die benötigte Infrastruktur geschaffen werden. Die Reaktivierung von Bahntrassen gilt dabei als wichtiger Baustein. Ein solches Vorhaben betrifft die Stadt Flensburg und darüber hinaus die gesamte Region. Denn als einziges Oberzentrum im nördlichen Schleswig-Holstein ist Flensburg ein Hauptziel für Berufstätige, Schüler:innen, Studierende, Einkaufs- und touristischen Verkehr. Und das soll auch gerne so bleiben.

Diskutieren und informieren

Bei solchen Projekten gibt es stets Für und Wider. Um eine qualifizierte Diskussion zu ermöglichen, sollten erstellte Gutachten und Unterlagen soweit möglich öffentlich zugänglich gemacht werden.  Eine Übersicht über das, was bereits vorliegt, findet sich auf im Infoblog Flensburg-mobil.net (mehr).

In der bisherigen Diskussion haben sich Fragen ergeben, zu denen Informations- und Gesprächsbedarf besteht. Diese stellen wir hier vor. Im Verlauf des Austausches wird diese Seite ergänzt. Bitte geben Sie Hinweise gerne an uns weiter, ebenso, wenn uns trotz sorgfältigster Recherche ein Fehler unterlaufen sein sollte: flensburg@vcd-nord.de.

Angesichts der Fülle der Informationen haben wir uns entschieden, zunächst mit den Fragen zur Strecke insgesamt (Teil I) zu beginnen.
In Teil II folgen Fragen um einen neuen Bahnhof Flensburg Stadt und – als Teil III – zum Konzept einer Regio-S-Bahn, deren Aufbau wir als zweiten Schritt nach einer Reaktivierung der Bahnstrecke betrachten.

Wir danken PRO BAHN, NAH.SH und NEG für die bereitgestellten Informationen. Eine Fülle von Informationen findet sich auch im "Gutachten zur zukünftigen Bahnstruktur Flensburg" (SMA und Partner AG, 11.12.2015. Stadt Flensburg: PDF-Datei – mehr), im Folgenden kurz als SMA-Gutachten bezeichnet.
 

I. Fragen zur Strecke insgesamt


Inhalt:
Teil I: Reaktivierung Bahnstrecke Niebüll-Flensburg: Fragen und Antworten
Alle Fragen und Antworten als PDF-Datei herunterladenmehr

  • Welche Ziele sind mit einer Bahnreaktivierung verbunden?
  • Welche Fördermittel gibt es dafür?
  • Wie ist der zeitliche Ablauf eines solchen Projekts? 
  • Wie lange würden Planung und Baumaßnahmen dauern, wann würden die ersten Züge fahren?
  • Was will die Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH und wer steht hinter diesem Unternehmen?
  • Welche Züge würden auf der Strecke fahren? Auch Dieselzüge und Güterzüge?
  • Welche Auswirkungen gibt es in Hinblick auf Emissionen wie Lärm, Feinstaub usw.?
  • Fallen dann die Busse auf der Strecke weg?
  • Würde sich diese Bahnstrecke rechnen? Wie wirtschaftlich wäre das Vorhaben?
  • Wie berechnet man erwartete Fahrgastzahlen?
  • Welche Haltepunkte würde es an der Strecke und in Flensburg geben?
  • Die Trasse ist inzwischen bewachsen, Anlieger haben gebaut. Was passiert mit Bäumen und den Häusern an der Strecke?
  • Welche Vorteile bietet die Reaktivierung der Bahnstrecke für die Region und für Flensburg?

Teil II:  Neuer Bahnhalt Flensburg Stadt am ZOB – Fragen und Antworten – mehr
(als PDF-Datei: mehr)

Teil III: Mit der S-Bahn ins Umland und nach Dänemark – Fragen und Antworten – mehr
(als PDF-Datei: mehr)
 


  • Welche Ziele sind mit einer Bahnreaktivierung verbunden?

Eine Wende zu klimafreundlichen Verkehrsmitteln kann nur gelingen, wenn zeitnah nachhaltige und attraktive Alternativen bereitgestellt werden. Die Reaktivierung von Bahnstrecken gilt dabei als wichtiger Baustein.

Die verkehrspolitischen Planungen des Landes Schleswig-Holstein sehen dies ausdrücklich vor, so der Koalitionsvertrag: "Stillgelegte und noch gewidmete Bahnstrecken (wie z.B. die Strecke Niebüll-Flensburg) werden wir im Rahmen eines Gesamtkonzeptes entsprechenden Wirtschaftlichkeitsüberprüfungen unterziehen und ggf. für einen modernen ÖPNV reaktivieren lassen, um den ländlichen Raum besser zu erschließen" (S. 50. Land Schleswig-Holstein: PDF-Datei – mehr).

Der Landesentwicklungsplan 2010, Grundlage für die räumliche Entwicklung in Schleswig-Holstein bis 2025, formuliert als Ziel: Der Schienenverkehr soll "darauf ausgerichtet werden, dass er einen erheblichen Teil des zu erwartenden Verkehrszuwachses im Personen- und Güterverkehr bewältigen und einen möglichst hohen Anteil der starken Pendlerverkehre zur Verkehrsentlastung insbesondere dicht besiedelter Gebiete übernehmen kann" (S. 68. Land Schleswig-Holstein: PDF-Datei – mehr).

Dementsprechend entwirft der aktuelle Landesweite Nahverkehrsplan (2014) ein Szenario, um den Anteil von Bus und Bahn um 50% zu erhöhen ( S. 131. NAH.SH: PDF-Datei – mehr).

  • Welche Fördermittel gibt es dafür?

Um diese Ziele zu erreichen, stellen Land und Bund umfangreiche Fördermittel bereit. Durch das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) ist eine Förderung bis zu 90% möglich (Gesetze im Internet: mehr).

So erläuterte Dr. Andreas Tietze, Vorsitzender des Verkehrsausschusses im schleswig-holsteinischen Landtag, beim Experten-Podium von VCD Nord und PRO BAHN (26.10.2020):
“Wir haben in Schleswig-Holstein eine gefüllte Kriegskasse. Wir haben über 200 Millionen Euro angespart. Seit einem Jahr hat der Bund sein Bundes-Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz (GVFG) für Investitionen geöffnet. Für Infrastrukturprojekte im schienengebundenen Personennahverkehr werden 90%(!) der Fördergelder vom Bund übernommen.
Wenn wir uns also in Schleswig-Holstein entschließen, unsere Landesmittel mit den Bundesmitteln cozufinanzieren, können wir bis zu 2 Milliarden Euro in Infrastruktur Schiene nach Schleswig-Holstein bringen … Grenzraum-Infrastrukturprojekte, die zur Klimarettung beitragen, werden auch in der nächsten EU-Förderperiode in den Fokus rücken.”

“Ganz neu ist die Möglichkeit, dass man jetzt über das Gemeindeverkehrs-Finanzierungsgesetz (GVFG) Infrastrukturprojekte zwischen schienengebundenem Personennahverkehr (SPNV) und Bahninfrastruktur gemeinsam vornehmen kann. Das hat eine gigantische Wirkung: Mit einem Euro aus Schleswig-Holstein kann man 9 Euro Fördermittel vom Bund in die Region bekommen. Das ist eine neue Ausgangslage" (S. 5-6, 15. VCD Nord: PDF-Datei – mehr).

  • Wie ist der zeitliche Ablauf eines solchen Projekts? 

Eisenbahn-Infrastrukturunternehmen können sich um das Umsetzen solcher Fördermaßnahmen bemühen. Sie organisieren Planung und Baumaßnahmen rund um die Reaktivierung der Strecke. Dabei gibt es drei Hauptabschnitte, die ineinander greifen.

  • 1. Planungsphase
    Bereits im Vorfeld sind Planungen und Analysen nötig: Prüfung der Auswirkungen auf Menschen, Tiere, Pflanzen, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, Kultur- und Sachgüter. Dazu kommt die technische Planung, für die ein Betriebskonzept entwickelt werden muss: Erwartete Fahrgastströme, Wirtschaftlichkeit, Ausgangsbedingungen usw.
    Im Anschluss müssen eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt sowie ein umfassender Planantrag gestellt werden, in dem dies alles berücksichtigt ist. Diese Planung wird beim Amt für Planfeststellung in Kiel eingereicht, geprüft und mit entsprechenden Schutzmaßnahmen sowie ggf. mit Änderungsauflagen genehmigt.
  • 2. Bauphase
    Gegen Ende der Bauphase beginnt die Planung des Verkehrsangebots. Das Land Schleswig-Holstein entscheidet: Welche Züge sollen wie oft wohin fahren? Die Maßgaben werden in den Landesweiten bzw. den Regionalen Nahverkehrsplan aufgenommen.
  • 3. Vergabe und Beauftragung eines Verkehrsunternehmens
    Das Land Schleswig-Holstein schreibt die Verkehrsleistungen mit den festgelegten Vorgaben aus (z.B. Fahrplan, Fahrzeuge, Serviceleistungen). Verkehrsunternehmen können Angebote abgeben. Eines erhält den Zuschlag. Dabei behält sich das Land vor, Anpassungen vornehmen zu können, z.B. in Bezug auf Fahrplan oder Haltepunkte.
       
  • Wie lange würden Planung und Baumaßnahmen dauern, wann würden die ersten  Züge fahren?

Laut dem “Gutachten zur zukünftigen Bahnstruktur Flensburg” (SMA) sollten die Planungen für einen Fernbahnhof, eine Reaktivierung zum ZOB und der Bahnstrecke Niebüll-Flensburg vorangetrieben und detaillierte Machbarkeitsstudien durchgeführt werden. Dabei werden auch Bahnhofsstandorte an der Strecke geprüft. Dafür werden ein bis zwei Jahre veranschlagt. Gewarnt wird in dem Zusammenhang davor, dass Klagen aus der Nachbarschaft, insbesondere gegen einen Nahverkehrsbahnhof  am ZOB, die Planungen verzögern könnten.

Für das Planfeststellungsverfahren, das mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung verbunden ist, sind ein bis zwei Jahre geschätzt.

Die Reaktivierung von Schienenstrecken hat den Vorteil, dass es bereits eine vorhandene Bausubstanz gibt. Daher gibt das SMA-Gutachten für die Reaktivierung der Strecke Niebüll-Flensburg geschätzte drei Jahre Bauzeit an (S.135-136 – mehr).

  • Was will die Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH und wer steht hinter diesem Unternehmen?

Die  Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH (neg) hat sich 2018 bei DB Netz, dem Schienen­infrastruktur­unternehmen der Deutschen Bahn AG, für die Übernahme der Bahnstrecke Flensburg Wilhelminental-Innenstadt beworben. Die Trasse war ausgeschrieben worden, um die gesetzlich geforderte Entscheidung herbeizuführen: Wird dieser Schienenweg wieder befahrbar gemacht oder endgültig stillgelegt?
Bei Verhandlungen wurde Einigkeit erzielt, der Kauf ist noch nicht abgeschlossen. Dieser Teil ist eine wichtige Ergänzung zur Linie Niebüll-Flensburg und damit ein Beitrag, die Infrastruktur zu erhalten, zu verbessern und wieder in Betrieb zu nehmen.

Die Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH ist ein Unternehmen im Kreis Nordfriesland mit rund 80 Mitarbeitenden. Sie hat Bereiche der damaligen Nordfriesischen Verkehrsbetriebe AG (NVAG) übernommen und ist - intern getrennt - als Eisenbahninfrastruktur- und -Verkehrsunternehmen tätig. Die Norddeutsche Eisenbahn Niebüll GmbH ist eine 100%-ige Tochter der staatlichen Eisenbahngesellschaft in Luxemburg, "Société Nationale des Chemins de Fer Luxembourgeois" (CFL), die wiederum zu 92% im Besitz des Luxemburgischen, zu 7% des Belgischen und zu 1% des Französischen Staates ist (neg: mehr).

  • Welche Züge würden auf der Strecke fahren? Auch Dieselzüge und Güterzüge?

Für die Bauplanung stellt sich im Vorfeld die Frage: Was soll eine Strecke Niebüll-Flensburg leisten können? Soll sie für schweren Güterverkehr ausgelegt sein oder für eine regionale Personenverkehrsanbindung? Auf Grundlage dieser Entscheidung werden das Betriebskonzept und der entsprechenden Ausbaustandard entwickelt. Ein vereinfachter Standard, z.B. für nichtbundeseigene Eisenbahnen, ist erheblich kostengünstiger als der Komplettausbau für Güter- oder ICE-Verkehr.

Die Strecke ist schwerpunktmäßig für den Personenverkehr vorgesehen, denn der Bedarf an schwerem Güterverkehr in diesem Bereich ist gering einzuschätzen. Diese planerische Entscheidung muss im Vorfeld abgestimmt werden mit den Gemeinden und dem Land.

Die Planung und Vergabe des regionalen Zugverkehrs liegt beim Land Schleswig-Holstein. Ist die Planung abgeschlossen, wird gegen Ende der Bauphase das Vorhaben ausgeschrieben und Eisenbahn­unternehmen können Angebote für den Bahnbetrieb abgeben.
Im Auftrag des Landes ist NAH.SH, Bereich Verkehrswirtschaft, zuständig für die Vergabeverfahren. Bei solchen Ausschreibungen werden Vorgaben festgelegt, beispielsweise in Bezug auf Fahrplan, eingesetzte Fahrzeuge oder Qualitäts- und Servicestandards. Den Zuschlag für den Bahnbetrieb erhält das Verkehrsunternehmen, das das wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat (vgl. NAH.SH: Vergabeverfahren – mehr).

Das Land Schleswig-Holstein setzt sich für die Elektrifizierung des Schienenverkehrs ein. So wurden 2019 55 "Flirt-Akku"-Züge der Schweizer Stadler Rail AG bestellt, die ab Ende 2022 zum Einsatz kommen (Klimareporter.de: mehr).  Dafür errichtet das Unternehmen eine neue Werkstatt in Rendsburg für Service und Wartung (SHZ.de: mehr). Dieselbetriebene Züge werden künftig schrittweise ausgemustert.

  • Welche Auswirkungen gibt es in Hinblick auf Emissionen wie Lärm und Feinstaub?

Die Lärm- und Luftbelastung durch Verkehr ist ein anerkanntes Problem. Ziel der Verlagerung des Individualverkehrs auf die Schiene ist es, diese Emissionen zu reduzieren. Das gilt für die Klimagase und ebenso für Verkehrslärm und Feinstaub, Abrieb usw. Solche Vorhaben dienen daher ganz erheblich dem Schutz von Umwelt und Gesundheit. 

Die Verlagerung auf die Schiene reduziert die Emission von Treibhausgasen pro Person und zurückgelegtem Kilometer etwa auf ein Drittel. Auch die Emissionen an Stickoxiden und Partikeln (Feinstäube PM10 und PM2,5) werden deutlich verringert (Umweltbundesamt: mehr).

Für den Lärmschutz müssen die gesetzliche Vorgaben in jedem Fall eingehalten werden. Das wird im Zuge des Planungsverfahren vom Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume Schleswig-Holstein (LLUR) geprüft und ist entsprechend zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollte eine verträgliche optische Gestaltung der Lärmschutzmaßnahmen berücksichtigt und die technischen Möglichkeiten genutzt werden, die die Geräuschemissionen an der Schiene und am Fahrzeug verringern.

In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass der Kfz-Verkehr eine um ein Vielfaches größere Lärmbelastung bedeutet als ein Zug, der 100-200 Pkw ersetzen kann. Ein elektrischer Personenzug mit 100km/h ist so laut wie ein Auto mit 50km/h, wie die Grafik unten zeigt (Bayerisches Landesamt für Umwelt: Grafik mit Genehmigung des LfU – mehr).

Durch die Reaktivierung der Bahntrassen würden Ortsdurchfahrten und -kerne vom Durchgangsverkehr entlastet, Lärmbelastung und Abgasausstoß durch Pkw verringert und die Attraktivität der Orte erhöht.

  • Fallen dann die Busse auf der Strecke weg?

Bus und Bahn sind keine Konkurrenz, sondern gehören, eng abgestimmt, gemeinsam zum System eines attraktiven öffentlichen Nahverkehrs. So ist es möglich, das ÖPNV-Angebot für viele Menschen deutlich zu verbessern.

Für die Kreise und die kreisfreien Städte als Aufgabenträger für den ÖPNV bedeutet es eine finzanzielle Entlastung, wenn Verkehrsleistungen im ÖPNV durch den Ausbau des Schienenverkehrs oder einer Reaktivierung der Bahnstrecke ersetzt werden. Die Kreise und die kreisfreien Städte als Aufgabenträger für den ÖPNV können die Verkehrsleistungen auf den entsprechenden Buslinien abbestellen und die dafür verwendeten ÖPNV-Mittel für den Ausbau des Angebotes auf anderen Buslinien oder für eine Einführung eines Bahn-Bus-Konzeptes verwenden.

Die Busse würden also nicht wegfallen, sondern umstrukturiert werden. Busverkehre in den ländlichen Gemeinden könnten als Zubringer-Verbindungen gestaltet werden, die an den Fahrplan der Bahnverbindung angepasst sind. Bisher für lange Überland-Busverbindungen genutzte Fahrzeuge könnten auf diese Weise wesentlich effizienter eingesetzt werden und die Erreichbarkeit der Bahnverbindung sicherstellen.

Die Reisezeiten zwischen Niebüll und der Flensburger Innenstadt würden sich im Vergleich zu den bestehenden Busverbindungen deutlich reduzieren. Entsprechend eines Fahrplankonzepts der Fahrgastverbände kann mit einer Zeitersparnis von bis zu 25% gerechnet werden.

  • Würde sich diese Bahnstrecke rechnen? - Wie wirtschaftlich wäre das Vorhaben?

Maßgeblich ist, ob durch eine Maßnahme volkswirtschaftlich ein höherer Nutzen als Kosten zu erwarten ist. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Reisezeit. Während die Fahrzeit zwischen Niebüll und Flensburg mit dem Bus derzeit eine gute Stunde dauert, wäre die Fahrzeit mit der Schiene etwa 35-40 Minuten, also erheblich schneller. Eine Bahn steht nicht im Stau und ist damit zuverlässiger.
Insgesamt würde ÖPNV erheblich an Attraktivität gewinnen und die großen Einfallstraßen nach Flensburg entlastet. Es ist mit einem Rückgang der Unfallschäden sowie der Emissionen zu rechnen.

Solche Gesichtspunkte fließen ein in volkswirtschaftliche Berechnungen, die sogenannte Standardisierte Bewertung von Verkehrswegeinvestitionen des öffentlichen Personennahverkehrs. Ein Wert über 1,0 besagt, dass das Vorhaben volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Das ist die Voraussetzung für die Vergabe von Fördermitteln und für die Umsetzung. Eine solche Bewertung für die Strecke Niebüll-Flensburg liegt noch nicht vor, man geht aber davon aus, dass sie positiv ist.

Im 1. Regionalen Nahverkehrsplan des Planungsraums I (2017-2021) für die Stadt Flensburg wird konstatiert, dass laut Gutachten "ein hohes Nachfragepotenzial für die Reaktivierung Flensburg-Niebüll bestehe und diese sowohl verkehrlich als auch wirtschaftlich vielversprechend erscheint" (S. 86. Stadt Flensburg: PDF-Datei – mehr).

Zu einem positiven Ergebnis kommt auch das bereits zitierte SMA-Gutachten. Es empfiehlt die Reaktivierung der Strecke Niebüll-Flensburg angesichts von "Mindestens 1,2 Mio. Fahrgäste / Jahr" sowie "geringer Zuschussbedarf je Fahrgast im Vergleich zu anderen Strecken in Schleswig-Holstein " (S. 6. Stadt Flensburg: PDF-Datei – mehr).

Die direkte Anbindung an das regionale und überregionale Verkehrsnetz in Niebüll (Anbindung an den Regionalexpress 6 nach Husum und Hamburg) und Flensburg-Weiche (Anbindung an den Regionalexpress 7 nach Hamburg sowie verschiedene Fernverbindungen) würde die Erreichbarkeit der gesamten Region stärken und damit auch für einen Zuwachs an Fahrgastzahlen sorgen.

Exkurs: Vergleich der Systeme Schiene-Bus für die Stadt Erlangen
Im bayerischen Erlangen stand man vor der Entscheidung, eine Stadt-Umland-Bahn zu bauen, die teilweise auf reaktivierten Bahnlinien, teilweise auf neuen Trassen fahren soll.
In der vorbereitenden Studie "Vergleich Straßenbahn und Bussysteme" kommt das Gutachterbüro KCW GmbH zu dem Ergebnis, dass eine Bahn als "deutliche Verbesserung wahrgenommen [wird]. Dies liegt an objektiven Faktoren, wie der höheren Zuverlässigkeit oder höheren Durchschnittsgeschwindigkeit, aber auch an subjektiven Aspekten. So wird von der überwiegenden Mehrheit der Fahrgäste der Fahrkomfort in schienengebundenen Verkehrsmitteln auf Grund der ruhigeren Anfahrt und Bremsen sowie weniger Querbewegungen als angenehmer empfunden …
Im Ergebnis kann ein sogenannter 'Schienenbonus' festgestellt werden", so dass bei "einem vergleichbaren Angebot nach Umstellung deutlich mehr Fahrgäste die Straßenbahn nutzen, als verkehrsprognostisch erwartet worden war … Vergleichende, wissenschaftliche Ex-Post-Untersuchungen haben eine regelmäßig erreichten Nachfragezunahme um bis zu 85% ermittelt. Davon waren ca. 10-15 % Kunden, die zuvor den ÖPNV nicht benutzt haben" (S. 40. Hervorhebungen nachträglich eingefügt. VEP Erlangen: PDF-Datei - mehr).
In Erlangen hat man sich übrigens inzwischen für den Bau der Strecke entschieden (mehr).

  • Wie berechnet man erwartete Fahrgastzahlen?

Um das Fahrgastpotenzial an einer Strecke zu berechnen, werden Alltags- und Freizeitwege hinzugezogen. Einen guten ersten Überblick gewinnt man über Pendelverflechtungen. Statistische Daten dazu werden durch das Arbeitsamt erhoben und sind eine zuverlässige Datengrundlage. Ebenso liegen statistische Angaben zu den Schülerströmen vor.

Der erwartete Fahrgastzuwachs ist umso höher, je besser die Verbindung ist. Denn für die Mehrzahl der Fahrgäste ist die Reisezeit das wesentliche Kriterium. Wenn keine Direktverbindung besteht, sind gute Anschlüsse wichtig. Als weitere Kriterien gelten allgemein "die zeitliche Erreichbarkeit zentraler Orte, die Häufigkeit des Umsteigens und das Reisezeitverhältnis im Vergleich zum motorisierten Individualverkehr (MIV)" (Forschungs-Informations-System Mobilität und Verkehr: mehr). Solche Faktoren fließen in die Berechnungen ein.

  • Welche Haltepunkte würde es an der Strecke und in Flensburg geben?

Für die Planung ist im Vorfeld nötig zu überlegen, welche Haltepunkte es an der Strecke geben soll. Dafür muss es einen Austausch mit den Gemeinden an der Strecke, der Stadt Flensburg und dem Land Schleswig-Holstein geben.

Was Flensburg betrifft, machen die Rückmeldungen aus den Gemeinden klar deutlich, dass - im Fall einer Reaktivierung - einhelliges Interesse besteht, direkt die Flensburger Innenstadt zu erreichen. Im SMA-Gutachten wird entsprechend festgestellt: "Die Nachfrage und damit der Nutzen-Kosten-Faktor sind voraussichtlich höher, wenn die Züge aus Niebüll zu einem Nahverkehrsbahnhof  am ZOB geführt werden" (S. 133. Stadt Flensburg: PDF-Datei – mehr).

Vorabschätzungen für die Standardisierte Bewertung haben ergeben, dass der Nutzen eines innenstadtnahen Bahnhof Flensburg Stadt die anfallenden Kosten erheblich übersteigen würde. So wurde beim Experten-Podium von VCD Nord und PRO BAHN am 26.10.2020 von einem Quotienten von 8 gesprochen (S. 15/16. VCD Nord: – mehr).

Ein Innenstadtbahnhof Flensburg Stadt wird ebenfalls vorgeschlagen im Landesweiten Nahverkehrsplan für Schleswig-Holstein (S. 131; 134-135. NAH.SH: PDF-Datei – mehr) und im Dritten Regionalen Nahverkehrsplan Flensburg 2013-2017 (S. 115. Mobizentrale: PDF-Datei - mehr), der sich davon "eine deutlich bessere Erreichbarkeit des Stadtzentrums im Bahnverkehr mit einem Verzicht auf aufwändige Zubringerverkehre" verspricht.

In Blick auf die Ziele von Pendler- und Schülerverkehr wäre es sinnvoll, neben dem heutigen Bahnhof in Flensburg zusätzliche Halte- und Zusteigepunkte einzurichten. Denkbar sind z.B. neben einem Bahnhof Flensburg Stadt das Schulzentrum Exe mit über 8000 Schüler:innen, das Deutsche Haus als zentraler Veranstaltungsort, Campus / Krankenhaus, Weiche, Tarup, Handewitt. Perspektivisch lassen sich diese Haltepunkte durch ein Regionalbahn-Netz ergänzen, wie es in Flensburg derzeit diskutiert wird.

  • Die Trasse ist inzwischen bewachsen, Anlieger haben gebaut. Was passiert mit Bäumen und den Häusern an der Strecke?

Der Bahndamm ist in Teilen durch Büsche und Bäume eingewachsen. Anders als in kommunal-baurechtlichen Verfahren sind bei Eisenbahn-Planverfahren Ausgleichsmaßnahmen zwingend vorzusehen. Dies wird in einem Landschaftspflegerischen Begleitplan beschrieben. Grundsätzlich sollte der Bewuchs weitmöglichst erhalten bleiben. Ausnahmen sind in diesem Fall allerdings vertretbar. Die Klimakrise muss in einem größeren Kontext als dem einzelner Bäume gedacht werden.

Effektiver Lärmschutz, beispielsweise mit modernen Fahrzeugen und leisen Gleisen, ist eine wichtige Voraussetzung. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen eingehalten werden und werden im Rahmen der Planungen geprüft und mitgedacht. Die kommunalen Bauplanungen müssen die Strecke aufgrund ihrer Widmung baurechtlich berücksichtigen. Dabei sind direkt vor Ort passende Lösungen zu entwickeln und umzusetzen.

Der Wallsbüller Bürgermeister Arno Asmus erklärte beim Experten-Podium von VCD Nord und PRO BAHN (26.10.2020): “Wir in Walsbüll sind dafür, auch wenn wir an der Strecke liegen … Die Reaktivierung der Bahnlinie [sehen wir] als kleines Infrastrukturprogramm hier für die Grenzregion zwischen Flensburg und Niebüll … Als Gegenargument wird häufig die Wohnbebauung entlang der Bahnstrecke vorgeschoben. Das haben wir in Walsbüll auch, da stehen zum Beispiel genauso viele Häuser an der Bahn wie in Schafflund. Da muss man natürlich für entsprechende Schutzmaßnahmen sorgen” (S. 6-7. VCD Nord: PDF-Datei – mehr).

  • Welche Vorteile bietet die Reaktivierung der Bahnstrecke für die Region und für Flensburg?

Sowohl in der Region als auch in der Stadt Flensburg profitieren die Fahrgäste davon, wenn sie deutlich schneller in der Flensburger Innenstadt sind als bisher. Das macht Flensburg besser erreichbar und bedeutet eine wesentliche Stärkung als Oberzentrum und touristisches Ziel.

Für die Region bietet eine bessere Erreichbarkeit ebenfalls erhebliche Vorteile.
Ascan Egerer, Geschäftsführer der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft und der Verkehrsbetriebe Karlsruhe GmbH, Betreiber des größten deutschen Regionalstadtbahnsystems und Experte für Zwei-System-Schienenfahrzeuge, berichtete beim gleichen Expertenpodium:

  • “Zum 25-jährigen Jubiläum haben wir uns angeschaut: Wie haben sich eigentlich die Gemeinden an der Achse Karlsruhe - Heilbronn ... entwickelt. Heilbronn ist eine Großstadt mit ca. 130.000 Einwohnern, auch dort fahren wir direkt in die Innenstadt hinein. Dazwischen befindet sich ein eher ländlich geprägter Raum.
    Alle hier liegenden Gemeinden haben eine sehr positive Entwicklung gemacht. Ich will nicht sagen, dass das nur an der Stadtbahn liegt, aber sie ist auf jeden Fall ein wichtiger Standortfaktor für diese Gemeinden geworden. Heute ist es wichtig für die Gemeinden, diesen Stadtbahnanschluss zu haben" (VCD Flensburg – mehr).
  • In einem offenen Brief an Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Dr. Buchholz unterstützen die Studierenden-Ausschüsse des Flensburger Campus die Bahnreaktivierung ausdrücklich.
    Wenn dabei mehrere Haltepunkte “im Stadtgebiet geschaffen würden, hätten zunehmend mehr Studierende die Option sich auch in Randgebieten, beispielsweise in Flensburg Weiche, oder ganz außerhalb des Stadtgebietes anzusiedeln und dennoch mit vergleichsweise niedrigem Zeitaufwand den Campus und die Flensburger Innenstadt zu erreichen” (VCD Flensburg: mehr).

 

  

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  • Teil I:   Reaktivierung Bahnstrecke Niebüll-Flensburg: Fragen und Antworten – mehr
    (als PDF-Datei: mehr)
  • Teil II:  Neuer Bahnhalt Flensburg Stadt am ZOB – Fragen und Antworten – mehr
    (als PDF-Datei: mehr)
  • Teil III: Mit der S-Bahn ins Umland und nach Dänemark – Fragen und Antworten – mehr
    (als PDF-Datei: mehr)

 

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