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Flensburg: Bauchgefühl statt Fakten - wieder keine Fortschritte für klimafreundlichen Verkehr?

Schlechte Aussichten für mehr Klimaschutz im Flensburger Innenstadt-Verkehr, das ist das Ergebnis der Beratung im Ausschuss für Umwelt, Planung und Stadtentwicklung am 25.08.2020. Ziel war, das Parkhaus am ZOB besser erreichbar und den Verkehrsfluss - Busse, Polizei, Autos, Fuß- und Radverkehr - am Innenstadtknoten flüssiger zu machen. Hier ein Kurzinfo zum geplanten Vorhaben und ein kritischer Bericht aus der Ausschuss-Sitzung.

  

Verkehrsführung rund um den ZOB:
Besserer Verkehrsfluss, bessere Auslastung des Parkhauses

Fast 490 Stellplätze gibt es im Parkhaus "City Süderhofenden" - in bevorzugter zentraler Lage am ZOB und mit wenigen Gehminuten zur Fußgängerzone. Das ist ein knappes Drittel der rund 1800 Parkplätze, die allein zwischen Hafenspitze, Holm und Großer Straße zur Verfügung stehen. Doch das Parkhaus ist in keiner Weise ausgelastet.

Gleichzeitig trifft am Kreuzungspunkt Süderhofenden-Rathausstraße viel Verkehr aufeinander: Busse fahren zu und vom ZOB, Pkw treffen aus allen Richtungen ein, dazu Einsatzfahrzeuge der Polizei und jede Menge Rad- und Fußverkehr. Das führt zu Behinderungen, Beeinträchtigungen und Wartezeiten für alle, die dort unterwegs sind. Diesen Verkehrsknoten zu entzerren und die Zufahrt zum Parkhaus zu optimieren, war der Auftrag an das Bremer Büro Planersocietät.

Eine wirksame und eine wenig wirksame Variante

Nach äußerst aufwändigen Verkehrsmessungen und Befragungen kommen die Verkehrsplaner von Planersocietät in ihrem Endbericht (Mai 2020, PDF-Datei – mehr) zu folgendem Ergebnis:
Künftig soll das Parkhaus von der Rathausstraße her angefahren werden (Änderung der Einbahnstraßen-Richtung).

  • Dafür soll, so Variante 1, die Rathausstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt und nur für Rad-, Bus- und Lieferverkehr sowie Anwohner freigegeben werden.
    Das bringt mehr Platz in diesem Bereich und somit erhebliche Verbesserungen für Rad- und Fußverkehr, Busse und Einsatzfahrzeuge. Das Parkhaus kann direkt angefahren werden und wird deutlich besser ausgelastet. Gleichzeitig sorgt das für eine Verkehrsberuhigung in der Innenstadt.
    Teilweise dürfte das zu Ausweichfahrten in umgebende Straßenzüge führen (Norderhofenden – Toosbüystraße sowie Friedrich-Ebertstraße – Schützenkuhle), insgesamt würde sich Durchgangsverkehr aber auf den Tangentenring verlagern, da diese Route dann attraktiver ist. Tempo 30 zum Lärmschutz würde einen zusätzlichen Beitrag leisten.
  • Alternativ Variante 2: Die Rathausstraße könnte zur Einbahnstraße Richtung Westliche Höhe erklärt werden.
    Diese Variante schafft weniger Platz und bringt geringere Verbesserungen für den Verkehrsfluss mit sich. Die Parkhausauslastung wird, so die Berechnung, nicht verbessert. Die gewünschten Ziele werden damit nicht erreicht.

Daher wurde Variante 2 von der Stadtplanung abgelehnt. Sie trägt auch nicht wesentlich bei zum 2018 gemeinsam beschlossenen Masterplan Mobilität. Darin wird angestrebt, die Erreichbarkeit der Innenstadt mit dem Fahrrad attraktiver als mit dem Auto zu machen (Maßnahme 37), die Aufenthalts- und Lebensqualität dort zu verbessern (Maßnahme 55) und die Durchgangsverkehre zu reduzieren (Maßnahme 57).
Rathausstraße, Nordergraben und Toosbüystraße gehören zudem laut Lärmaktionsplan zu den Straßen mit erheblichster Lärmbelastung, hier sind Gegenmaßnahmen nötig.

Rathausstraße als "Tor zur Flensburger Innenstadt":
Mehr Passanten, weniger Leerstände

Bei der Online-Präsentation im Juni 2020 stieß das Verkehrsgutachten auf positive Resonanz: Die Rathausstraße kann so zum Eingangstor zur Flensburger Innenstadt werden - mit der Möglichkeit, das Auto direkt neben dem Eingang abzustellen und von dort aus weiter zu flanieren. Das würde auch deutlich mehr Passant*innen in die Rathausstraße und die Große Straße bringen und den Leerständen dort entgegenwirken.

Bei der Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Planung und Stadtentwicklung am 25.08.2020 wurde das Verkehrsgutachten vom Fachbereich Stadtentwicklung und Klimaschutz der Stadt Flensburg vorgestellt mit der Maßgabe, die Verkehrsbehörde möge die Vorzugsvariante 1 auf verkehrsrechtliche Umsetzbarkeit prüfen und anordnen.
Doch die Flensburger Ratsleute tun sich schwer, ihren Worten Taten folgen zu lassen, wie die Sitzung zeigte.

Kritischer Bericht aus der Ausschuss-Sitzung

Tim Meyer-König, ADFC-Mitglied und regelmäßiger Gast im SUPA, besuchte die Sitzung und findet in seinem Bericht deutliche Worte:

"Als es zum TOP 8.3, ‘Verkehrsführung Parkhaus Süderhofenden / Rathausstraße’ kam, schien ein großer Teil der SUPA-Mitglieder fast beleidigt zu reagieren.  Aus Sicht vieler SUPA-Mitglieder war es eine Provokation, dass sie in einer Entscheidung nicht das letzte Wort haben und dass die Stadtverwaltung fachlich und rational entscheidet.

Bauchgefühl statt Fakten - und keine Fortschritte für klimaschonenden Verkehr

Statt sich mit der fachlichen Expertise und den nüchternen Zahlen der Stadtplaner auseinanderzusetzen, argumentierten die Ratsmitglieder mit persönlichen Eindrücken und Bauchgefühl ("ich beobachte das ja auch", "wenn ich dort lang fahre, stehe ich im Stau"). Auch der Klassiker "glaub ich nicht" fiel. Solche Argumentation ist nicht fundiert, sondern einfach nur peinlich.

Gabi Ritter (LINKE) fasste die Diskussion treffend zusammen: Das Schauspiel mache sie traurig. Der Masterplan Mobilität sei quasi einmütig beschlossen worden, doch jeder Maßnahme, die uns in Flensburg den Zielen des Masterplans näher brächte, werde mit Misstrauen begegnet und zerredet. Am Ende bliebe kein stimmiges Gesamtkonzept, sondern nur noch Flickwerk übrig.

Wahlprogramme und Realität klaffen auseinander

Die SSW-Fraktion (Susanne Schäfer-Quäck) hatte ihr Herz für den Busbahnhof entdeckt. In einem Ergänzungsantrag zu diesem Tagesordnungspunkt will der SSW allenfalls einer Einbahnstraßen-Regelung zustimmen. Verlangt wurde, "Korrekturen" am ZOB sollten "grundsätzlich nach der Befassung in der Ratsversammlung erfolgen". Mit breiter Mehrheit wurde die Stadt schließlich aufgefordert, die Politik in die Entscheidung einzubeziehen.

Wieder einmal verhinderten die einschlägigen Fraktionen kleinste Fortschritte für klimaschonenden Verkehr. Wieder einmal trat die Diskrepanz zwischen Wahlprogrammen und Realität deutlich zutage.
Man darf gespannt sein, wie es weiter geht.

Sperrung der Rathausstraße 2019 verlief unspektakulär

Ob das neue Konzept der Weisheit letzter Schluss ist, weiß vermutlich niemand. Allerdings klappt ein Zurückdrängen des Durchfahrtverkehrs nur, wenn die Durchfahrt erschwert wird. Diesem Ziel kommt das Konzept näher.
Erinnern wir uns: Die letzte, wochenlange Sperrung der Rathausstraße (Bauarbeiten) führte keineswegs zum Kollaps des Verkehrs. Ja, sie ging eigentlich sogar völlig unspektakulär über die Bühne.

Wenig Interesse an Lärmschutz und Radverkehrsförderung

Ansonsten verlief die Sitzung dagegen recht entspannt:
Flensburg Wählen! schlug unter TOP 4 „Straßengestaltung auf Jürgensby“ vor, das Pflaster in der Jürgensgarder Straße abzutragen und in Parkbuchten wie der aktuell überarbeiteten Brixstraße zu verwenden. Eine geteerte Jürgensgarder würde die Lärmbelastung der Anwohner reduzieren und sie für den Radverkehr attraktiver machen. Der Grundgedanke ist sicherlich gut, doch die Idee kam zu kurzfristig und wird wohl folgenlos bleiben.

Unter TOP 8.2 "Sachstandsbericht des Fachbereiches zur Umsetzung infrastruktureller Maßnahmen im Bereich Mobilität" erläuterte die Stadt ihre Tätigkeiten für den Radverkehr seit 2016.
Wie Pelle Hansen (Grüne) zu Recht bemängelte, beschreibt diese Auflistung genau das Problem: Die Installation von Fahrradbügeln ist kein großer Schritt, eher eine Selbstverständlichkeit. Mit der Umsetzung der wirklich einflussreichen Maßnahmen (z.B. Velorouten) kommt die Stadt einfach nicht zügig voran.
Ernüchternd bei dieser Diskussion: Das völlige Desinteresse der restlichen Parteien."

Fazit: Klimaschutz im Verkehr - es bleibt bei Lippenbekenntnissen

Soweit der Bericht aus dem Ausschuss für Umwelt, Planung und Stadtentwicklung am 25.08.2020. Dass Flensburg nicht vorankommt mit Klimaschutz im Verkehr und Verbesserungen für den Rad- und Fußverkehr wurde - mit großer Unzufriedenheit - auch im Juni im Arbeitskreis Masterplan Mobilität festgestellt.
Alle Fraktionen versprechen regelmäßig, sich für umweltfreundlichen Verkehr einzusetzen. Doch es bleibt bei Lippenbekenntnissen.
So zuletzt auch bei der Abstimmung über die Freigabe von Fahrspuren für den Radverkehr: Hier hatten SSW, CDU, FDP und Flensburg Wählen! dagegen gestimmt - und damit auch gegen eine Einsparung von 8,5 Millionen Euro.

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