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Bus und Bahn: Fahrpreise, Job- und Sozialticket, Handy-App und mehr!

Die Fahrpreis-Erhöhung im August 2021 hat in Flensburg für Diskussion gesorgt. Voraussichtlich ab Januar 2022 soll nun für ein Jahr ein Sozialticket für 25 Euro eingeführt werden. Beschäftigte bekommen mit Unterstützung des Arbeitgebers kostenlos ein Jobticket. Wer bezahlt eigentlich den öffentlichen Verkehr, wie kommen die Ticketpreise zustande und wie lockt man notorische Autofahrer in Bus oder Bahn? Wir haben den Tarifexperten von NAH.SH, Jörg Ludolph, gefragt.

VCD Flensburg Streifenkarte für das Tarifgebiet Flensburg. Seit 1. August 2021 kostet die Fünfer-Streifenkarte 2,10 Euro pro Stück und das Einzelticket 2,50 Euro.

Volkswirtschaftler und Germanist Jörg Ludolph ist bei NAH.SH, der Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein GmbH in Kiel (mehr), zuständiger Refernt für Tarif und Vertrieb.
NAH.SH sorgt im Auftrag des Landes Schleswig-Holstein für 

  • Planung, Bestellung und Qualitätssicherung des Schienen-Personennahverkehrs
  • Weiterentwicklung des landesweiten Schleswig-Holstein-Tarifs
  • Weiterentwicklung des Nahverkehrs auf Schiene und Straße gemeinsam mit den Kreisen, kreisfreien Städten, dem Land sowie den Bahn- und Busunternehmen in Schleswig-Holstein.

Gesellschafter der NAH.SH GmbH sind das Land Schleswig-Holstein, die 15 Kreise und kreisfreien Städte. Ziel von NAH.SH ist es, mit einem attraktiven Angebot mehr Fahrgäste für den öffentlichen Nahverkehr in Schleswig-Holstein zu gewinnen. Mit Erfolg: Seit 1995 ist die Nachfrage landesweit um rund 70 Prozent gestiegen.

Alles rund ums Jobticket

  • Herr Ludolph: Wieviel spart man beim Jobticket? Ab wann lohnt es sich? Rechnet sich das Job-Ticket denn auch für NAH.SH?

Für den Stadtverkehr Flensburg gibt es seit 2021 ein Jobticket für Beschäftigte und Auszubildende. Dafür schließt der Arbeitgeber einen Rahmenvertrag mit Aktiv Bus Flensburg GmbH. Das ist bereits ab 5 Jobticket-Nutzer:innen im Unternehmen möglich. Das Ticket gilt im gesamten Bereich Flensburg.

Es gibt zwei Rabattstufen:

 Rabattstufe 1
Beschäftigte
Rabattstufe 2
Beschäftigte
Rabattstufe 1
Auszubildende
Rabattstufe 2
Auszubildende
Monatskarte normal43,75 Euro43,75 Euro29,17 Euro29,17 Euro
Arbeitgeber gibt15 Euro30 Euro15 Euro30 Euro
NAH.SH-Rabatt10 Euro20 Euro10 Euro20 Euro
Kundin zahlt:18,75 Euro0 Euro4,17 Euro0 Euro

Bei Rabattstufe 2 lohnt sich das Jobticket also schon für Sie, wenn Sie nur einmal im Monat mit dem Bus fahren! Insgesamt gibt es trotzdem Einnahmen, denn wir gewinnen neue Fahrgäste und der Arbeitgeberzuschuss kommt dem Busunternehmen zugute. Und auch die Natur ist ein Gewinner!

Besonderer Bonus: Wie bei anderen Monatskarten kann man bis zu 3 Kinder unter 6 Jahren mitnehmen und zusätzlich an Samstagen, Sonn- und Feiertagen kostenlos eine weitere Person und maximal 3 Kinder unter 15 Jahren.

Mehr Information:
- Jobticket Tarifraum Flensburg –  mehr
- Jobticket weiterer Tarifraum – mehr

Jobticket: Billiger als Sozial- und Schülerticket??

  • Sozial Schwache und Schüler:innen zahlen dann für die Monatskarte erheblich mehr als Arbeitende mit Jobticket!

Wir können das Jobticket so günstig anbieten, weil die Arbeitgeber dazuzahlen. Wenn die Fahrpreise für Sozialtickets günstiger werden sollen, ist ein Zuschuss von staatlicher Seite nötig. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Man kann die Fahrpreise senken und den Verkehrsunternehmen im Nachhinein die Mindereinnahmen erstatten. 
    Es ist jedoch recht kompliziert, die Mindereinnahmen zu errechnen. Außerdem ist die Zustimmung verschiedener Gremien und der Verkehrsunternehmen nötig. Und es bleibt das Risiko, dass zu wenig Geld in die Kasse kommt.
  • Die zweite Möglichkeit: Man leistet einen direkten Zuschuss, z.B. über die Schulämter und Sozialämter.
    Dieser Weg ist aus unserer Sicht besser. Denkbar ist auch hier ein Modell wie das Jobticket: Ein Zuschuss der Stadt wird mit einem Rabatt auf den Fahrkartenpreis belohnt. Wenn die Nachfrage dadurch genügend steigt, ist ein Ausgleich der Mindereinnahmen nicht nötig. 

Fahrgäste zurückholen in Busse und Bahnen

  • Durch Corona hat der öffentliche Verkehr Einbußen erlebt. Gleichzeitig brauchen wir Bus und Bahn als Hauptträger für die Verkehrswende. Wie lassen sich Fahrgäste zurückgewinnen?

Aus Forschung und langjährigen Erfahrungen wissen wir, dass Fahrgäste gern mit uns fahren, wenn das Angebot sicher und umfangreich ist. Das heißt konkret:

  • Eine Haltestelle in der Nähe, an der regelmäßig Bus, Bahn, Fähre etc. fahren
  • Eine sichere und saubere Umgebung an Haltestellen und in Fahrzeugen
  • Gute Anschlusssicherung, so dass die Fahrgäste ohne Verzögerung ans Ziel kommen
  • Freundliches und verfügbares Personal.

Clevere Routenplaner- und Ticket-Apps tragen ebenfalls dazu bei, Bus und Bahn angenehmer zu machen. Am Ende kommt es aber auf die Basics oben an.

Natürlich spielt auch der Preis eine Rolle. Die Bedeutung wird jedoch oft überschätzt. In der Marktforschung rangiert der Preis immer hinter den oben genannten Gründen für die Nutzung des ÖV. Preisveränderungen haben nur eine geringe Auswirkung auf die Nachfrage: Wenn man die Preise um 10 Prozent senkt, fahren nur etwa 3 Prozent mehr Menschen mit den Öffis. Eine Ausnahme ist es, wenn z.B. wie beim Jobticket die Preissenkung sehr drastisch ist. 

Marketing-Aktionen können dabei durchaus hilfreich sein. Durch sie können Menschen neu entdecken, wie gut ihr Nahverkehr ist. Dabei sollten solche Aktionen nicht zu einer punktuellen Überfüllung von Bussen und Bahnen führen. Denn lange Wartezeiten, verschmutzte Haltestellen und Fahrzeuge, ein Fahrplan, der aus den Fugen gerät, und unfreundliche Busfahrer – Autofahrer, die solche Erfahrungen machen, werden den Nahverkehr nicht in guter Erinnerung behalten.

Günstig unterwegs mit der Flensburger Fairtiq-App

  • Thema Apps: Die Flensburger App Fairtiq (mehr) rechnet immer die günstigste Fahrkarte ab, z.B. Einzelfahrt oder Tageskarte. Welche weiteren Vorteile für Fahrgäste wären durch eine digitale Fahrpreiserhebung möglich?

In der  NAH.SH-App gibt es noch keine Bestpreis-Abrechnung, da sind uns die Flensburger tatsächlich einen Schritt voraus. 
Bei Bezahl-Apps gibt es zwei Varianten:

  • Das klassische Handyticket, mit dem die Kundin vor Fahrtantritt eine bestimmte Fahrkarte für eine festgelegte Strecke erwirbt (Prepaid).
    Eine Bestpreisabrechnung ist grundsätzlich auch für dies Modell möglich. Das ist auch für uns eine interessante Option, der wir nachgehen wollen.
  • Neuere Systeme, bei denen die Kundin sich eincheckt, fährt und nach Ende der Fahrt für die gefahrene Strecke eine Fahrkarte zugeordnet bekommt.
    Bei solchen Systemen ist die Bestpreisabrechnung am Ende des Tages üblich.

Für den SH-Tarif haben wir gerade ein Vergabeverfahren gestartet für ein System, bei dem die Kundin bei Fahrtantritt eincheckt und dann nichts weiter tun muss. Der Start ist für 2023 geplant, 2022 werden wir erste Tests durchführen.

Dies sogenannte Check-in/Be-out-System (CiBo) ermöglicht zudem besondere Tarife, bei denen beispielsweise nach Kilometern (Luftlinie oder gefahrene Strecke) abgerechnet wird oder die Fahrgäste sich eine eigene “Home-Zone” erfahren können, d.h. einen Bereich, in dem sie am häufigsten unterwegs sind und für den dann mit einer Flatrate abgerechnet wird.

Kosten: Wieviel bezahlen die Fahrgäste, wieviel bezahlt der Staat?

  • Wie werden Busse und Bahnen denn finanziert? In Flensburg, so heißt es, finanziert sich der Busverkehr zu 80% durch die Ticketpreise und zu 20% aus staatlichem Zuschuss.

Vor Corona ging man davon aus, dass etwa die Hälfte der Kosten für den ÖV durch Ticketeinnahmen finanziert wird, die andere Hälfte vom Staat, also ein Verhältnis von 50:50.
Der Nachfragerückgang im Zuge der Pandemie führte zwischenzeitlich zu einem Verhältnis von eher 70% staatlichen Mitteln und 30% Fahrgeldeinnahmen.
Die künftige Entwicklung lässt sich noch nicht exakt voraussagen. Man muss jedoch zunächst von einem erhöhten Staatsanteil ausgehen. Das stellt natürlich für die Finanzierung der Verkehrswende eine erhebliche Belastung dar.

Die Stadt Flensburg hat im Jahr 2021 insgesamt 2.335.166,- Euro vom Land Schleswig-Holstein für den ÖPNV erhalten. Grundlage dafür ist die “Landesverordnung über die Finanzierung des übrigen öffentlichen Personennahverkehrs vom 27. November 2020” (ÖPNV FinVO – mehr).
Diese Mittel sind zweckgebunden für den ÖPNV zu verwenden (Verkehrsverträge, Infrastruktur, Marketing etc.) und dienen zudem dazu, die übertragene Aufgabe der Genehmigungsbehörde für den Linien- und Gelegenheitsverkehr abzugelten.

Wie hoch die Fahrgeldeinnahmen in Flensburg sind, kann exakt nur die Stadt Flensburg mitteilen. Wir gehen jedoch davon aus, dass das Verhältnis von Fahrgeldeinnahmen zu staatlichen Mitteln hier höher sind als im landesweiten Durchschnitt. Dies ist bei dicht besiedelten Stadtgebieten meist der Fall. Dort sind schlicht mehr Fahrgäste je Fahrzeug zu erwarten.

Finanzierung des ÖV: Durch Fahrgäste, Staat und Nutznießer

  • Gibt es denn außer Fahrgästen und Staat noch andere Möglichkeiten, den öffentlichen Verkehr zu finanzieren?

Beim Jobticket sehen wir eine dritte Säule der Finanzierung: Die Arbeitgeber tragen einen Teil der Kosten. Denn sie haben selbst einen Nutzen davon: Ihre Beschäftigten sind entspannt und sicher unterwegs, Parkplätze werden eingespart, das Unternehmen zeigt Umwelt-Engagement, die Aufwendungen sind sozialabgabenfrei. Daher haben sie einen Anreiz, sich an der Finanzierung des Nahverkehrs zu beteiligen. Wir sprechen hier von Nutznießer-Finanzierung.

Der Ausbau dieser Nutznießer-Finanzierung als dritte Säule der Finanzierung ist aus unserer Sicht notwendig für die Umsetzung der Verkehrswende und für den Ausbau der Mobilität von morgen.

Andere Beispiele dafür sind: Eine kommunal erhobene Arbeitgeberabgabe, eine verstärkte Parkraumbewirtschaftung, Mautgebühren für Autos in der Innenstadt, ein Bürgerticket u.ä. All dies ist im europäischen Ausland seit vielen Jahren gelebte Selbstverständlichkeit, stärkt den öffentlichen Verkehr und trägt maßgeblich zur Verkehrswende bei.

Familien mit kleinen Kindern: Mit Lastenrad in den Zug?

  • Letzte Frage: Im Schienenverkehr dürfen in Schleswig-Holstein Tandems mitgenommen werden, aber keine Lastenräder. Das ist ein Nachteil für Familien, die z.B. mit Kleinkindern unterwegs sind. Sehen Sie eine Möglichkeit, diese Bestimmung zu ändern?

Wir freuen uns, dass immer mehr Familien ihre Kleinkinder klimaschonend mit dem Lastenrad statt mit dem Pkw herumfahren. Gleichzeitig dienen die Beförderungskapazitäten in Bahn und Bus in erster Linie zur Beförderung von Personen. Wir müssen genügend Beförderungsfläche haben, denn vorrangig sollen z.B. Mütter mit Kinderwagen und Bewegungseingeschränkte, z.B. mit Rollator, mitfahren können.
Aber wir denken darüber nach und prüfen unsere umfangreichen Bestimmungen zur Mitnahme von Fahrrädern aller Art sowie weiteren Gefährten mit Rädern immer wieder.
Langfristig wird nur eine entschlossene Ausweitung der Transportkapazitäten in Bus und Bahn helfen, um die Mobilität – einschließlich der Verknüpfung alter und neuer Formen – ins 21. Jahrhundert zu holen. 

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